Lüge vor Gericht kann den Versicherungsschutz kosten

 

Neben einer möglichen strafrechtlichen Relevanz kann die Unwahrheit in einem Punkt den ganzen Versicherungsschutz in der Kaskoversicherung kosten. Dadurch kann die sogenannte Redlichkeitsvermutung entfallen.

 

Nachzulesen in einer aktuellen Entscheidung des OLG Hamm.

 

Aus den Gründen:

 


(Oberlandesgericht Hamm, 20 U 184/15)


Keine Belehrungspflicht des Versicherers bei Arglist des Versicherungsnehmers

 

Der für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass der Versicherer, selbst wenn er über die möglichen Folgen von Falschangaben nicht ausreichend belehrt hat, zum Rücktritt vom Versicherungsvertrag berechtigt ist, wenn der Versicherungsnehmer oder der für ihn handelnde Makler arglistig falsche Angaben im Antrag gemacht hat.

 

Der Kläger, der zuvor mit einem Versicherungsvermittler einen Maklervertrag geschlossen hatte, stellte im Jahr 2010 bei dem beklagten Versicherer einen Antrag auf Abschluss einer Kranken- und Pflegeversicherung. Dort waren die Fragen nach Krankheiten und Beschwerden unvollständig und die nach psychotherapeutischen Behandlungen nicht beantwortet. In der Folge erhielt die Beklagte ein weiteres Antragsformular, in dem diese Fragen mit "nein" beantwortet wurden. Die Beklagte stellte hierauf einen Versicherungsschein aus. Mit Schreiben vom 22. September 2011 erklärte sie den Rücktritt vom Vertrag, weil der Kläger ihr verschiedene erhebliche Erkrankungen verschwiegen hatte. Später erklärte sie noch die Anfechtung ihrer Vertragserklärung wegen arglistiger Täuschung. Die auf Feststellung gerichtete Klage, dass der Vertrag weder durch Rücktritt noch durch Anfechtung beendet ist, hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist die Beklagte wirksam vom Vertrag zurückgetreten.

 

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass der Versicherer zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt ist. Der arglistig handelnde Versicherungsnehmer kann sich nicht mit Erfolg auf eine Verletzung der Pflicht des Versicherers, ihn über die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung zu belehren, berufen. Der Versicherer kann im Falle einer arglistigen Täuschung durch den Versicherungsnehmer mithin auch dann vom Vertrag zurücktreten, wenn er den Versicherungsnehmer im Antragsformular entgegen den Anforderungen des § 19 Absatz 5 Versicherungsvertragsgesetz nicht oder nicht ausreichend belehrt hat. Entscheidend hierfür ist, dass die Belehrungspflichten zum Schutz des Versicherungsnehmers angeordnet sind, der arglistig handelnde Versicherungsnehmer aber nicht gleichermaßen schutzwürdig ist. Der Versicherungsnehmer kann sich ferner auch nicht darauf berufen, er habe gegenüber dem von ihm eingeschalteten Versicherungsmakler wahrheitsgemäße Angaben gemacht. Vielmehr muss er sich nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats grundsätzlich das arglistige Verhalten des Maklers zurechnen lassen. Einer der Ausnahmefälle, in denen eine derartige Zurechnung nicht in Betracht kommt, lag im Streitfall nach den für das Revisionsverfahren bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts nicht vor.

 

§ 19 Versicherungsvertragsgesetz (VVG)

 

(1) Der Versicherungsnehmer hat bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung die ihm bekannten Gefahrumstände, die für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind und nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat, dem Versicherer anzuzeigen. …

 

(2) Verletzt der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht nach Absatz 1, kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten.

 

 

(5) Dem Versicherer stehen die Rechte nach den Absätzen 2 bis 4 nur zu, wenn er den Versicherungsnehmer durch gesonderte Mitteilung in Textform auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung hingewiesen hat. …

 

Urteil vom 12. März 2014 - IV ZR 306/13

 

LG Bonn vom 12. November 2012 – 9 O 150/12

 

OLG Köln vom 19. Juli 2013 – 20 U 238/12

 

(Quelle: Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 12. März 2014)


Berechnung des Rückkaufswerts von bis Ende 2007 geschlossenen Lebensversicherungsverträgen nach erfolgter Kündigung

 

 

Der für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit den zwei Urteilen vom heutigen Tag über die Berechnung des Rückkaufswerts von Lebensversicherungen nach erfolgter Kündigung entschieden.

 

In den zur Beurteilung anstehenden Fällen schlossen die klagenden Versicherungsnehmer jeweils im Jahr 2004 Lebensversicherungsverträge, die sie 2009 kündigten. Die beklagten Versicherer rechneten den von ihnen auf der Grundlage der vereinbarten Allgemeinen Versicherungsbedingungen ermittelten Rückkaufswert ab und zahlten diesen aus. Die Kläger verlangen eine höhere Zahlung und berufen sich darauf, dass der Bundesgerichtshof mit seinem Urteil vom 25. Juli 2012 (IV ZR 201/10, BGHZ 194, 208; Pressemitteilung Nr. 122/12) Klauseln, die vorsehen, dass die Abschlusskosten im Wege des so genannten Zillmerverfahrens mit den ersten Beiträgen des Versicherungsnehmers verrechnet werden, wegen unangemessener Benachteiligung des Versicherungsnehmers für unwirksam erachtet hat. Um derartige Klauseln handelt es sich auch in den hier zu beurteilenden Fällen.

 

Der Bundesgerichtshof hatte in seiner Entscheidung vom 25. Juli 2012 nicht zu beurteilen, welche Rechtsfolgen sich aus der materiellen Unwirksamkeit dieser Klauseln für die Berechnung des Rückkaufswerts bei vorzeitiger Kündigung ergeben. Diese Frage hat er nunmehr entschieden. Danach ist die Vertragslücke, die durch die Unwirksamkeit der Klauseln über die Berechnung des Rückkaufswerts und der Verrechnung der Abschlusskosten entsteht, im Wege ergänzender Vertragsauslegung dahin zu schließen, dass dem Versicherungsnehmer für den Fall der vorzeitigen Vertragsbeendigung zunächst die versprochene Leistung zusteht. Der vereinbarte Betrag der beitragsfreien Versicherungssumme und des Rückkaufswerts darf aber einen Mindestbetrag nicht unterschreiten, der durch die Hälfte des mit den Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation berechneten ungezillmerten Deckungskapitals bestimmt wird. Der Bundesgerichtshof hat insoweit seine Rechtsprechung zur Berechnung des Rückkaufswerts bei wegen Intransparenz unwirksamen Klauseln aus der Tarifgeneration 1994 – 2001 (Urteil vom 12. Oktober 2005 – IV ZR 162/03, BGHZ 164, 297) fortgeführt und auch auf die Berechnung des Rückkaufswerts von bis Ende 2007 geschlossenen Verträgen erstreckt, bei denen die Klauseln über die Berechnung des Rückkaufswerts und die Verrechnung der Abschlusskosten wegen unangemessener Benachteiligung des Versicherungsnehmers unwirksam sind. Damit werden bei der Berechnung des Rückkaufswerts alle bis Ende 2007 geschlossenen Verträge, denen die genannten unwirksamen Klauseln zugrunde lagen, nach denselben Grundsätzen behandelt.

 

Erst bei ab 2008 geschlossenen Verträgen ist für die Berechnung des Rückkaufswerts die Regelung des § 169 Abs. 3 Satz 1 VVG maßgeblich. Eine rückwirkende Anwendung der Vorschrift auf vor dem 1. Januar 2008 geschlossene Verträge kommt demgegenüber ausweislich des gesetzgeberischen Willens nicht in Betracht.

 

§ 169 Versicherungsvertragsgesetz (VVG)

 

 

(3) Der Rückkaufswert ist das nach anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik mit den Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation zum Schluss der laufenden Versicherungsperiode berechnete Deckungskapital der Versicherung, bei einer Kündigung des Versicherungsverhältnisses jedoch mindestens der Betrag des Deckungskapitals, das sich bei gleichmäßiger Verteilung der angesetzten Abschluss- und Vertriebskosten auf die ersten fünf Vertragsjahre ergibt; …

 

Urteil vom 11. September 2013 - IV ZR 17/13

 

LG Köln – Urteil vom 23. Mai 2012 – 26 O 105/11

 

OLG Köln – Urteil vom 21. Dezember 2012 – 20 U 133/12

 

Urteil vom 11. September 2013 - IV ZR 114/13

 

AG Köln vom 31. Januar 2012 – 124 C 484/11

 

LG Köln vom 13. Februar 2013 – 26 S 8/12

 

(Quelle: Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 11.09.2013)


Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort führt nicht in jedem Fall dazu, dass der Kaskoversicherer einen Schaden am eigenen Pkw nicht zahlen muss

 

 

Der Bundesgerichtshof hat interessante und auch wichtige Ausführungen dazu gemacht, wann der Versicherungsschutz der Kaskoversicherung auch bei der sog. Unfallflucht erhalten bleibt. Die Versicherer und die Untergerichte hatten sich auf den Standpunkt gestellt, dass eine Unfallflucht stets eine Obliegenheitspflichtverletzung bedeutet, die zum Verlust des Versicherungsschutzes führt.

 

Nach der Ansicht des BGH gilt aber: wer sich nach einem Unfall unerlaubt vom Unfallort entfernt, den Schaden jedoch unverzüglich dem Versicherer oder dessen Agenten mitteilt, hat dem Aufklärungsinteresse des Versicherers in ausreichender Weise genügt.

 

Lassen Sie sich also umgehend anwaltlich beraten, wenn Ihnen ein Versicher die Leistung verweigert!

 

Hier die Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 21.11.2012:

 

Bundesgerichtshof entscheidet über Verletzung von Aufklärungsobliegenheiten gegenüber demKaskoversicherer in den Fällen unerlaubten Entfernens vom Unfallort nach § 142 Abs. 2 StGB

 

 

Der für das Versicherungsrecht zuständige IV. Zivilsenat hat entschieden, dass ein Verstoß gegen § 142 Abs. 2 StGB (nicht unverzügliche Ermöglichung nachträglicher Feststellungen nach zunächst erlaubtem Entfernen vom Unfallort) nicht in jedem Falle zugleich eine vorsätzliche Verletzung der Aufklärungsobliegenheit gegenüber dem Fahrzeugversicherer beinhaltet, die zu dessen Leistungsfreiheit führt.

 

In dem entschiedenen Fall erlitt der Kläger mit seinem bei der Beklagten kaskoversicherten Fahrzeug gegen 1 Uhr morgens einen Unfall, als er – nach seiner Behauptung bei einem Ausweichmanöver wegen auf der Straße stehender Rehe – auf einer Landstraße in einer Rechtskurve nach links von der Fahrbahn abkam und mit dem Fahrzeugheck gegen einen Baum prallte, der ebenso wie sein Fahrzeug beschädigt wurde. Nach dem Unfall verständigte er den ADAC, der das Fahrzeug abschleppte, und ließ sich von einem herbeigerufenen Bekannten an der Unfallstelle abholen. Die Polizei und den Geschädigten (das zuständige Straßenbauamt) verständigte er nicht. Ein gegen ihn eingeleitetes Verfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort wurde später eingestellt.

 

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Regulierung des Schadens an seinem Fahrzeug. Er behauptet, ihr den Schaden unverzüglich angezeigt zu haben. Die Beklagte lehnte die Regulierung wegen der Verletzung von Aufklärungsobliegenheiten (hier E.1.3. AKB 2008) durch unerlaubtes Entfernen vom Unfallort ab. Mit seiner Klage verlangt der Kläger den Ersatz des auf rund 27.000 € bezifferten Schadens.

 

Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht hat die Auffassung vertreten, dass die Aufklärungsobliegenheit stets verletzt sei, wenn der Straftatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort verwirklicht werde. Das gelte auch in den Fällen des § 142 Abs. 2 StGB, gegen den der Kläger verstoßen habe.

 

Der Bundesgerichtshof hat einen solchen Automatismus verneint. Er hat entschieden, dass dem Aufklärungsinteresse des Versicherers trotz eines Verstoßes gegen § 142 Abs. 2 StGB dann in ausreichender Weise genügt ist, wenn der Versicherungsnehmer zu dem Zeitpunkt, in dem eine nachträgliche Information des Geschädigten noch "unverzüglich" im Sinne von § 142 Abs. 2 StGB gewesen wäre und eine Strafbarkeit nach dieser Vorschrift vermieden hätte, zwar nicht den Geschädigten, aber unmittelbar seinen Versicherer oder dessen Agenten informiert hat. Dies hatte der Kläger behauptet. Der Bundesgerichtshof hat deshalb das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur Aufklärung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

 

Urteil vom 21. November 2012 - IV ZR 97/11

 

Oberlandesgericht Dresden – Urteil vom 6. April 2011 – 7 U 1310/10

 

Landgericht Bautzen – Urteil vom 19. Juli 2010 – 3 O 466/09

 

Karlsruhe, den 21. November 2012

 

§ 142 StGB (Auszug)

 

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

 

(1) Ein Unfallbeteiligter, der sich nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt, bevor er

 

1. zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, daß er an dem Unfall beteiligt ist, ermöglicht hat oder

 

2. eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet hat, ohne daß jemand bereit war, die Feststellungen zu treffen,

 

wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

 

(2) Nach Absatz 1 wird auch ein Unfallbeteiligter bestraft, der sich

 

1. nach Ablauf der Wartefrist (Absatz 1 Nr. 2) oder

 

2. berechtigt oder entschuldigt

 

vom Unfallort entfernt hat und die Feststellungen nicht unverzüglich nachträglich ermöglicht.

 

(3) Der Verpflichtung, die Feststellungen nachträglich zu ermöglichen, genügt der Unfallbeteiligte, wenn er den Berechtigten (Absatz 1 Nr. 1) oder einer nahe gelegenen Polizeidienststelle mitteilt, daß er an dem Unfall beteiligt gewesen ist, und wenn er seine Anschrift, seinen Aufenthalt sowie das Kennzeichen und den Standort seines Fahrzeugs angibt und dieses zu unverzüglichen Feststellungen für eine ihm zumutbare Zeit zur Verfügung hält. Dies gilt nicht, wenn er durch sein Verhalten die Feststellungen absichtlich vereitelt.

 

...

 

E.1.3 AKB 2008

 

Sie sind verpflichtet, alles zu tun, was der Aufklärung des Schadenereignisses dienen kann. Dies bedeutet insbesondere, dass Sie unsere Fragen zu den Umständen des Schadenereignisses wahrheitsgemäß und vollständig beantworten müssen und den Unfallort nicht verlassen dürfen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen.

 

 

E.6.1 AKB 2008

 

Verletzen Sie vorsätzlich eine Ihrer in E.1 bis E.5 geregelten Pflichten, haben Sie keinen Versicherungsschutz. …


Verstößt das Versicherungsvertragsgesetz (a. F.) teilweise gegen EU-Richtlinien?

 

Diese Frage möchte der BGH geklärt wissen und hat deshalb ein Verfahren ausgesetzt und die Sache dem EuGH zur Klärung der Frage vorgelegt, ob § 5a Abs. 2 S. 4 VVG (a. F.) mit der Zweiten und Dritten Richtlinie Lebensversicherung/EWG vereinbar ist.

 

Die Pressemitteilung des BGH vom 29.03.2012:

 

Nr. 042/2012 vom 29.03.2012

 

Vorlage an den EuGH zur Vereinbarkeit der Vorschrift des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. mit der Zweiten und Dritten Richtlinie Lebensversicherung/EWG

 

 

Der klagende Versicherungsnehmer begehrt Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge aus einer Rentenversicherung nach einem Widerspruch gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformation erhielt der Kläger mit Übersendung des Versicherungsscheins. Dabei wurde er nicht in drucktechnisch hervorgehobener Form über sein Widerspruchsrecht belehrt. Den Widerspruch erklärte der Kläger erst nach Ablauf der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. festgelegten Jahresfrist. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen, weil der Widerspruch gegen das Zustandekommen des Vertrages gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. verfristet war.

 

Der unter anderem für das Versicherungsrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. März 2012 beschlossen, dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung die Frage vorzulegen, ob Art. 15 Abs. 1 Satz 1 der Zweiten Richtlinie Lebensversicherung unter Berücksichtigung des Art. 31 Abs. 1 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung wie in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. entgegensteht, nach der ein Rücktritts- oder Widerspruchsrecht spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Versicherungsprämie erlischt, selbst wenn der Versicherungsnehmer nicht über das Recht zum Rücktritt oder Widerspruch belehrt worden ist.

 

Vergleichbare Verfahren wurden im Hinblick auf die Vorlage analog § 148 ZPO ausgesetzt.

 

Die maßgeblichen Normen lauten wie folgt:

 

Versicherungsvertragsgesetz in der Fassung des Dritten Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 21. Juli 1994 (Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG)

 

(1) Hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer bei Antragstellung die Versicherungsbedingungen nicht übergeben oder eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes unterlassen, so gilt der Vertrag auf der Grundlage des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformation als abgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb von vierzehn Tagen nach Überlassung der Unterlagen schriftlich widerspricht. …

 

(2) Der Lauf der Frist beginnt erst, wenn dem Versicherungsnehmer der Versicherungsschein und die Unterlagen nach Absatz 1 vollständig vorliegen und der Versicherungsnehmer bei Aushändigung des Versicherungsscheins schriftlich, in drucktechnisch deutlicher Form über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden ist. Der Nachweis über den Zugang der Unterlagen obliegt dem Versicherer. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs. Abweichend von Satz 1 erlischt das Recht zum Widerspruch jedoch ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie.

 

 

Zweite Richtlinie 90/619/EWG des Rates vom 8. November 1990 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 79/267/EWG

 

Artikel 15

 

(1) Jeder Mitgliedstaat schreibt vor, dass der Versicherungsnehmer eines individuellen Lebensversicherungsvertrags, der in einem der in Titel III genannten Fälle geschlossen wird, von dem Zeitpunkt an, zu dem der Versicherungsnehmer davon in Kenntnis gesetzt wird, dass der Vertrag geschlossen ist, über eine Frist verfügt, die zwischen 14 und 30 Tagen betragen kann, um von dem Vertrag zurückzutreten.

 

 

Richtlinie 92/96/EWG des Rates vom 10. November 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG (Dritte Richtlinie Lebensversicherung)

 

Artikel 31

 

(1) Vor Abschluss des Versicherungsvertrags sind dem Versicherungsnehmer mindestens die in Anhang II Buchstabe A aufgeführten Angaben mitzuteilen.

 

….

 

IV ZR 76/11 – Beschluss vom 28. März 2012

 

Landgericht Stuttgart - Urteil vom 13. Juli 2010 - 22 O 587/09

 

Oberlandesgericht Stuttgart - Urteil vom 31. März 2011 - 7 U 147/10